
In den 1960er Jahren habe ich mir Frankreich mit dem Fahrrad erobert und mich dabei in die alten Mauern Avignons verliebt. Avignon wird immer noch „Stadt der Päpste“ genannt, aber eigentlich sollte man es „Stadt des Theaters“ nennen. Jedes Jahr im Juli findet hier ein Theaterfestival statt. 1987 habe ich mit einer Gruppe Frankfurter Romanistikstudenten an einem Workshop zu diesem Festival teilgenommen. Zwei Wochen Theater pur! Ein unvergessliches Erlebnis.
Im Juli 2018 bin ich nach Avignon gefahren, um diese Erinnerung aufzufrischen. Es war wie ein Wunder, dass Avignon, ebenso wie das Festival, sich in der langen Zeit kaum verändert haben. (Da das alte Avignon immer noch komplett von seiner Stadtmauer umgeben ist, käme es auch einer Sünde gleich, „intra muros“ wesentliche Veränderungen vorzunehmen.)

Das Festivalprogramm ist zwar inzwischen explodiert, aber immer noch erlebt man überall in der Stadt das Engagement der Schauspieler, die persönlich für ihre Stücke werben, wie auch das der Einheimischen, die das Festival nicht etwa nur den Touristen überlassen. Das Festival ist offenbar allen eine Herzensangelegenheit. Vor dreißig Jahren gab es mehr improvisierte Spielstätten, was ich damals als sehr positiv empfunden habe. Inzwischen haben sich daraus viele kleine Theater etabliert, in ihrer Ausstattung aber immer noch entfernt von unserem deutschen Perfektionismus. Gottseidank. Dadurch, dass während des Festivals viele Straßen nachmittags für Autoverkehr gesperrt sind, erscheint die Stadt tatsächlich ganz dem Theater gewidmet.
Allerdings war in diesem Sommer das größte Theater von einem Bauzaun umgeben. Der Prachtbau aus dem 19. Jh. wird zur Zeit aufwendig restauriert:

Ein paar Tage vor Beginn des Festivals darf plakatiert werden:

Kein Zaun, kein Geländer, kein Laternenmast bleibt ohne Plakate. Plakatständer überall. Wenn der Mistral weht, wird es chaotisch.

Diese beiden jungen Schauspielerinnen wollten auf ihr Theaterstück aufmerksam machen. Es ist ihnen gelungen. Ich habe es mir angesehen und war begeistert. (Die beiden sehen eher brav aus, aber das Stück war ein Vulkan!)

Hier will ein Mädchen schnell noch sehen, welche Attraktion gerade vorbeigezogen ist:

Man sieht ja auch die seltsamsten Wesen im Juli in Avignon:

Überall in der Stadt verteilen Theaterleute Handzettel für ihre Aufführungen und von allen Leuten werden sie bereitwillig angenommen:

Von früh bis spät stehen Theaterstücke auf dem Programm, 1500 pro Tag. Hier zwei Seiten mit lediglich den Stücken, die vormittags gespielt werden. Genauso geht es dann weiter bis abends. Letzter Beginn ist um 22:30 Uhr.

Die Ensembles müssen für die jeweilige Spielstätte Miete zahlen. Die Miete für Stücke, die am Vormittag gespielt werden, ist niedriger. Man muss sich also bemühen, auch die Langschläfer unter dem Publikum zu erreichen.

Prominentester Spielort dürfte der Ehrenhof des Papstpalastes sein. Hier trat das Frankfurter Ensemble Modern in einer Zusammenarbeit mit der Kompanie Emanuel Gat Dance auf.

Das Spektrum der Stücke reicht von klassisch bis zeitgenössisch, von Tragödie bis Comedy. Auch reine Musikdarbietungen gibt es. Für jeden etwas. Natürlich sollen möglichst schon die Titel attraktiv sein. So ließ man sich einfallen, die berühmte Brücke von Avignon sei verkauft worden:

Das ist aber ein Gerücht! Ich habe die Brücke selbst noch gesehen, allerdings als ich grade meine rosa Brille anhatte.

Sollte jemand von weither das Theaterfestival in Avignon besuchen wollen, sollte er wissen, dass man bereits im Februar keine Hotelzimmer mehr für Juli in Avignon bekommt und nur noch wenige in der näheren Umgebung.