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T11 – Ein Erlebnis aus dem Jahr 1990

Veröffentlicht am 26. April 20201. Mai 2020 von

Es gibt zur Zeit nur ein Thema: Das Coronavirus. 1990 stand eine ähnliche Bedrohung im Raum. Mir scheint, wir haben das ganz vergessen. Bleibt zu hoffen, dass auch für Corona bald Gegenmittel gefunden werden.

 

T11

Frankfurt.
Im Puls.
Taunusanlage 11.
Ich gehe zum Vorstellungsgespräch.
Angstvolle blassblaue Augen empfangen mich von ganz weit her.
Blassblaue Augen eines blassen, verhungerten jungen Menschen.
Er nennt mir die Etage.
An seine Stimme erinnere ich mich nicht.
Nur an die Augen.

Ich bekomme den Job.
Täglich diese Augen.
Manchmal sind sie etwas näher.
Ich versuche ein Gespräch.
Öfter.
Näher.

Jetzt empfängt mich täglich
ein zaghaftes
erstauntes
Lächeln.

Doch nicht täglich.
Man sagt mir, er sei krank.
Ich freue mich, als ich ihn wiedersehe.
Ich sage ihm, dass ich ihn vermisst habe.
Ich glaube, er freut sich auch.

Wieder ist er nicht da.
„Er ist im Krankenhaus.
Sie können ihn besuchen.
Er meint, er lebt nicht mehr lange.“
Nein, in der Mittagspause gehe ich nicht.
Zeit will ich haben.
Am Samstag werde ich gehen.

Was werde ich ihm mitbringen?
Vor allem Zeit.
Und Gedanken.
Gedanken kann man noch essen, wenn man keinen Appetit mehr hat.
Gedanken kann man noch trinken, wenn man schon verdurstet ist.
Ein Gedicht werde ich ihm bringen.
Ein Gedicht nur für ihn:

Ein Traum ist das Leben,
ein Traum.
Mal heiter und leis,
mal quälend und schreiend,
beklemmend – befreiend,
mal bunt, mal schwarz-weiß.

Ich träume gern.
Von Liebesglück und Maiengrün,
von Rosen, die auf Felsen blühn,
von Menschen, die auf der Straße singen,
von einer Seele, die schwingt in den Dingen.

Und immer wieder muss ich sehn:
Es war ein Traum,
es ist ein Traum mein Lebenslauf.
Wann
wach ich endlich auf?

Am Samstag gehe ich los.
Mit ganz viel Zeit.
Ich fahre mit der Fähre über den Main.
Versonnen gehe ich den Uferpfad.
Was werde ich ihm sagen?

Trost gibt es nicht.
Halt gibt es nicht.
Nähe gibt es.
Nähe in Gedanken.
Kein Halten, aber Begleiten.

Ach ja – mein Gedicht.
Ich setze mich auf eine Bank, um es mir ins Gedächtnis zu rufen.

Drüben, am anderen Ufer des Mains,
landet ein Reiher hoch in den Bäumen.
Da ich den einen gesehen,
sehe ich noch einen.
Und ein Nest.
Junge Reiher im Nest.
Noch nie sah ich dergleichen.
Ein Wunder ist es, das mir dieser Weg
zu einem Menschen beschert hat.

Ich bin schon lange unterwegs.
Die ersten Krankenhausgebäude sind in Sicht.
Ich will jemanden fragen, wo der Haupteingang ist.

Nur ein Mensch weit und breit zu sehen.
Ob ich den frage?
Sieht aus wie Wurzelsepp.
Nicht unbedingt ansprechbar.
Ich frage.
Er blinzelt mich kurz an.
Blickt zur Seite.
Zur anderen Seite.
Ich frage nochmal.
Wieder blinzelt er.
„Ich kenne Sie doch. Haben Sie nicht …?“
Ja, die Stimme kenne ich.
Ja, wir haben im selben Haus gewohnt.
10 Jahre lang.
Vor zig Jahren.
Noch ein Wunder.

Wir gehen gemeinsam Richtung Haupteingang.
Er will auf mich warten.
Das will ich nicht.
Ich will Zeit haben.
Die hat er auch, sagt er.
Es ist egal wie lange,
er wartet.

Ein abgelegenes Gebäude.
Blasse junge Menschen.
Der, den ich suche, ist tot.
Vor einer Woche gestorben.
Vorhin noch waren meine Gedanken bei ihm.

Draußen wartet Wurzelsepp.
Ich erzähle ihm von dem Menschen, den ich gar nicht kannte.
Ich sage ihm mein Gedicht.
Wurzelsepp verwandelt sich.
Er spricht.
Er lacht.
Er blüht auf.

Copyright: Ulla Leis / Musenkuss

 

 

Dies ist ein Blick in die Taunusanlage. Das relativ kleine Hochhaus T11 ist leider knapp verfehlt. Es schließt sich im Bild rechts an. Ich suche noch nach einem passenderen Foto. 1990 gab es hier noch die offene Drogenszene. Täglich bin ich daran vorbeigegangen, manchmal auch durch.

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Stegstraße 65
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