Ich lasse mich gerne fallen, in die Zeit. Wenn sie dann rund um mich aufplatscht und brodelt, dann sage ich ihr, dass es sie gar nicht gibt. Dass sie nur eine eingebildete Größe ist. Dann wird sie ganz klein mit Hut.
Und dann habe ich sie.
Alle Zeit der Welt habe ich, einfach nur, weil es sie gar nicht gibt.
Dass das paradox ist, stört mich gar nicht. Zeitlos wird alles gleich viel gemütlicher. Zeitlos heißt stresslos. Ja, den Stress bin ich los. Der kann mich mal. Ich habe mich fallen gelassen.
Jetzt schwebe ich, schwimme ich, tauche ich, tauche ab, tauche unter. Sehe mich um in der Zeitlosigkeit.
Ganz viele Kühe begegnen mir. Richtige Kühe. Ich glaube, die haben die Zeitlosigkeit erfunden, nein: entdeckt, nein: haben schon immer in ihr gelebt, nein: sie sind die Zeitlosigkeit.
Ich lege meinen Arm um einen Kuhnacken und, zwei glückliche Kühe, wandeln wir über Wellen und Wolken und Sonnen und Monde.
Meine Kuh wird müde. Sie bettet ihre Euter in eine Mulde der Milchstraße. Ich setze mich neben sie.
Hier ist es, das Geheimnis: der Abstand. Alles können wir sehen, alles auf einmal. Kein „erst“ und kein „dann“. Alles mit einem Blick. Jetzt weiß ich, warum Kühe so einen traumverlorenen Blick haben. Sie sehen gar nicht die Nähe, sie sehen die Ferne, sie sehen alles. Sie haben Abstand. Ich werde mir ein bisschen Abstand mitnehmen. Ob ich dann einen Kuhblick kriege?
Wieso mitnehmen? Ja, ehrlich gesagt: Ich will doch gerne mal wieder auftauchen. Ich bin so gewöhnt an die Zeit. Die Ewigkeit ist ja ganz erholsam, aber – wo bleibt der Stress? Schnell ein paar Brötchen kaufen, den Müll wegbringen, eine Freundin anrufen, ob sie heute Abend Zeit hat. Sie hat keine. Im Internet schauen, ob es noch Tickets für die Alte Oper gibt, für den Tango Argentino. Es gibt. Also los, zur U-Bahn und nix wie hin. Zu spät! Die Türen sind schon zu. Erst in der Pause darf wieder jemand rein. Oh, dann tauche ich nochmal kurz ab, zur Milchstraße.
Musenkuss
Mehr Zeitlosigkeit: Zeitlos auf Jamaika